Algorithmus und schöpferischer Prozess

Die Ausgangslage der ästhetischen Programmierung

Das Projekt grafik-generator ist nahezu abgeschlossen. Ab 2016 habe ich die Idee verfolgt, grafische Formen zu überlagern und auf diese Weise neue Grafiken zu erzeugen. Meine Ausgangs-These war, dass beim Übereinanderlegen verschieden großer Ausschnitte einer grafischen Arbeit (meistens) interessante Lösung entstehen. Und da ich algorithmisch denke, habe ich ein Computerprogramm geschrieben, das die Arbeit der Ausschnitt-Auswahl und der Platzierung vornimmt. Erst durch das Generieren vieler Lösungen konnte ich meine These (statistisch) erforschen und verifizieren.

Im nächsten Schritt habe ich Ausschnitte aus mehreren Grafiken zufällig gewählt und zufällig platziert. Auch diese Ergebnisse waren für mich zufriedenstellend.

Um alle möglichen Varianten besser zu beobachten, habe ich die Kombination der Ausschnitte animiert: Ausschnitte aus Grafiken bewegen sich (horizontal) am Bildschirm und gleichzeitig verändern sich die Zoomstufen der Quell-Motive. Fährt ein Ausschnitt zur Gänze aus dem sichtbaren Bildbereich, so wählt der Algorithmus ein anderes Bild aus dem Bilderpool aus und schiebt den Ausschnitt wieder in den sichtbaren Bereich.

Die Programmierung verstärkt neue Lösungen

Die nächste Entscheidung ist, einzelne Situationen als Bild zu speichern. Dabei stellt sich die Frage, ob auch der Moment des Speicherns und damit das jeweilige aktuelle Ergebnisse zufällig geschehen soll oder ob ich manuell bestimmte Momente wähle. Ich habe mich für beide Varianten entschieden. Meist neigen wir dazu, gefällige Ergebnisse zu wählen und bei bewussten Entscheidungen bevorzugen wir bekannte Muster und Gewohnheiten. Die automatisierte Speicherung zur vollen Stunde ermöglicht das Festhalten von ästhetischen Lösungen, die ich nicht selber erzeugt  hätte. Auf diese Weise erhalte ich interessante Bilder, die ich erst im Nachhinein als zufriedenstellend erachte.

Bei der manuellen Auswahl von passenden Situationen kann man das wahrscheinliche Ergebnis der nächsten paar Sekunden abschätzen. Es war für mich interessant zu erleben, wie mein 8-jähriger Enkel auf die Animation reagiert hat: Wir haben beide jene Momente bevorzugt, als die animierten Bildebenen etwa durch Überlappung von Linien oder Formen eine Beziehung  zueinander suggerierten: bekannte Muster und Gewohnheiten. Vor allem beim Vergleich mehrerer Situationen kurz nacheinander stellt sich die Frage was man behält, bzw. was man verwirft.

Wechselwirkung zwischen Programmierung und künstlerischem Ausdruck

In den Jahren der Entwicklung des grafik-generators habe ich mich ausführlich mit Druckgrafik und Zeichnung beschäftigt. Aus den jeweils entstandenen neuen Bildern habe ich einzelne ausgewählt und zum Bilderpool des grafik-generators hinzugefügt. So haben sich die Möglichkeiten des Programmes erweitert und die Ergebnisse zeigen stärker unterschiedliche Ästhetik. Über die Ausgangsbilder schreibe ich im nächsten Beitrag.

Die Automatisierung meines schöpferischen Prozesses und die Weiterentwicklung meiner grafischen Fertigkeiten haben sich gegenseitig beeinflusst. Denn es geht nicht darum, ein geschriebenes Computerprogramm unverändert zu lassen und alle generierten Lösungen zu akzeptierenen. Vielmehr ich habe die Programmierung nach der „Kritik“ der Ergebnisse geändert bzw. erweitert. Beispielsweise werden manche Ausschnitte oben oder unten abgeschnitten, indem der Ausschnitt nach unten oder oben verschoben wird. Diese Abweichungen organisiere ich so, dass kleinere Abweichungen häufig und stärkere Abweichungen seltener vorkommen. Ebenso versuche ich, nahezu leere Bilder zu vermeiden, wobei auch diese Stille ihren Reiz hat. 

Ergebnis sind nicht einzelne Bilder, sondern Mitglieder einer Werkfamilie

Insgesamt empfinde ich es als sinnvoll, die einzelnen Bilder im Zusammenhang mit dem Konzept und mit anderen Bildern zu sehen. Zwar liefert nicht jeder zufällige Prozess interessante Bilder, aber in Kontrast, Spannung und Differenz zueinander gewinnen unterschiedliche Ergebnisse an Kraft.

Motivwiederholung und Variation

Die zufällige Auswahl aus einem Bilderpool hat natürlich zur Folge, dass Motive immer wieder vorkommen, allerdings hauptsächlich in unterschiedlichen Kombinationen. Ein Sonderfall wäre, wenn alle vier gewählten Bilder ident sind – dann werden allerdings die Ausschnitte sich unterscheiden. Das wäre genau die Situation meiner oben beschriebenen Ausgangslage. Mit der wachsenden Menge des Bilderpools nimmt die Wahrscheinlichkeit für solche Situationen allerdings ab.

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